Stilfragen

Text: Olaf Adam; Fotos: Fabio Lovino, Jerome Bonnet, Bill Douthart, WDR 

Dieser Artikel ist ursprünglich erschienen in 0dB - Das Magazin der Leidenschaft N°3

Sänger. Musiker, Moderator, Entertainer - seit mehr als vier Jahrzehnten ist Götz Alsmann als eine Art Handelsreisender in Sachen Unterhaltung ständig auf Achse. Und ist sich dabei stets treu geblieben.

»Ich hatte nie das Gefühl, zu Hause etwas zu verpassen.« 

Götz Alsmann ist Münsteraner auf Lebenszeit, das steht fest. Jedenfalls wurde er dort geboren, hat zeit seines Lebens dort gewohnt und macht auch keinerlei Anstalten, das zu ändern. Das scheint viele Irgendwas-mit-Medien-Macher zu irritieren, denn immer wieder muss er sich in Interviews dafür rechtfertigen - warum Münster, ausgerechnet? Dabei ist die Erklärung einfach. Bereits seit jungen Jahren bereist Alsmann die Republik aus beruflichen Gründen, ist als Musiker und später auch fürs Fernsehen ständig unterwegs. "Und überall, wo ich hingekommen bin - ob München, Berlin, Hamburg oder sonst wo - haben mir die Einheimischen mit großem Aufwand erklärt, wie schrecklich diese Metropolen, auf die ich mich so gefreut hatte, eigentlich sind. Deswegen habe ich vielleicht anders als viele niemals das Gefühl gehabt, ich würde zu Hause etwas verpassen."

"Es gefällt mir gut in Münster. Die Stadt ist groß genug, dass man alles machen, bekommen und erfahren kann, was man machen, bekommen und erfahren will. Gleichzeitig hat man aber auch immer noch das Gefühl, in einem durchaus überschaubaren Gemeinwesen zu leben. Und außerdem ist Münster eine sehr viel jüngere Stadt, als viele vielleicht glauben. Bei 300.000 Einwohnern haben wir über 60.000 Studenten, das prägt die Stadt natürlich." 

UNVERKENNBARER STIL 

Hier in Münster entwickelte Götz Alsmann auch seinen unverkennbaren Stil. Anzug, Krawatte und Einstecktuch, das gehört bei ihm einfach dazu. Natürlich ist Alsmann Unterhaltungsprofi und pflegt diesen Stil ganz bewusst als Markenzeichen. Doch entstanden ist er zunächst aus ganz anderen Gründen. 

"Es gab da in Münster einen Herrenausstatter, in den ich mich als junger Mensch verliebt habe. Da ging man hin, ließ sich beraten und kaufte in 15 Minuten ein neues Jackett und neue Schuhe. Und dann blieb man noch ein bisschen und trank einen Kaffee oder manchmal auch einen Whiskey. Das erschien mir viel besser als ständig darüber nachzudenken, welche Jeansform jetzt gerade angesagt sei. Außerdem stehe ich so nicht jeden Morgen vor der Grundentscheidung, welche Kleidung dem jeweiligen Tag wohl angemessen ist. Insofern ist es absolut praktisch, einen eigenen Stil zu haben. Und es spart eine Menge Zeit." 

DIE SCHÖNHEIT DES IMPERFEKTEN 

Bei allem Pragmatismus, ein klein wenig persönliche Eitelkeit darf man Götz Alsmann wohl auch unterstellen. Er gefällt sich in seinen Anzügen, die vielleicht "retro" sind, doch nie altbacken wirken. Er kombiniert sein modisches Repertoire manchmal gewagt, aber immer geschmackvoll. Also hat Stil doch auch etwas mit Schönheit zu tun, oder? 

"Zunächst ist Stil auch eine Art Schutzfunktion. Unabhängig davon, ob er der Situation gerade angemessen ist - einen eigenen Stil zu haben, eine persönliche Note, das gibt immer Sicherheit. Abgesehen davon ist Schönheit absolut subjektiv und abhängig von der Zeit, von Moden, von persönlichen Einstellungen, von der persönlichen Beeinflussbarkeit. Objektiv über Schönheit zu sprechen ist fast unmöglich. Beispielsweise nehmen wir die Schönheit von Musik ja nur wahr, wenn die Musik aus einem Kulturkreis kommt, den wir kennen. Architekten und Mathematiker haben sich Gedanken über eine messbare Ästhetik gemacht, doch ist das die wahre Schönheit?" 

"Vor einiger Zeit habe ich Nikolaus Harnoncourt für Arte interviewt, da kamen wir auf den Begriff "Goldene Schönheit". Er meinte damit den Moment, wenn ein Musiker beim Spielen wirklich etwas wagt, sich dabei aber total vergeigt. Aber immerhin war er auf der Suche nach der Goldenen Schönheit. Das ist die Schönheit, die auch im Imperfekten liegen kann. Manchmal zählt einfach die angestrebte Idee."

DER BRUCH IM SCHLAGER 

Viele kennen Götz Alsmann vor allem aus dem Fernsehen. Doch auch wenn er diesem Medium mit 20 Jahren und über 700 Folgen "Zimmer frei" den größten Erfolg seiner Karriere verdankt, ist er nach eigenem Bekunden eher zufällig dort gelandet. Die größte Leidenschaft des Münsteraners galt und gilt der Musik, und hier insbesondere dem deutschsprachigen Schlager. Den es aber seiner Definition nach eigentlich nicht mehr gibt. "Ende der Sechzigerjahre hat ein Bruch im Schlager stattgefunden. Die Musik, die ab den Siebzigern in der ZDF-Hitparade lief - von Künstlern, die auch ausschließlich in der ZDF-Hitparade stattfanden", das war die weitgehende Selbstaufgabe des Schlagers. Der eigentliche Schlager aus der Zeit zwischen 1880 und 1965 wurde hauptsächlich geschrieben, komponiert und getextet von konventionell studierten Musikern. Diese Musiker - Michael Jary, Heino Gaze, Peter Kreuder - waren teilweise sehr ambitioniert. Jary hat sogar bei Strawinsky studiert. Und diese Könner haben dann irgendwann den vielleicht sogar als schmerzlich empfundenen Weg in die Unterhaltungsmusik beschritten." Doch was ist passiert, dass aus dieser zwar gefälligen, aber eben nie einfältigen Unterhaltungsmusik der belanglose Einheitsbrei wurde, den man heute mit dem Begriff "Schlager" verbindet? 

"Viele der Musiker, die ab den Siebzigern den Schlager bestimmt haben, waren eigentlich angetreten, als Beatmusiker Karriere zu machen. Nach dem gescheiterten Versuch, die neuen Rolling Stones zu werden, haben sie dann eben mit ihrem überschaubaren musikalischen Haushalt Schlager geschrieben. Im Umkehrschluss hat das leider dazu geführt, dass sich Musiker, die eigentlich guten neuen Schlager gemacht haben, wie beispielsweise Udo Lindenberg oder Reinhard Mey, als Rockmusiker oder Liedermacher definiert haben. Solche Bezeichnungen sind ja am Ende auch nur Marketingbegriffe, und diese Musiker haben sich eben für einen anderen Marketingbegriff entschieden. Roland Kaiser hielt einer Qualitätskontrolle im konventionellen Schlager fast als Einziger stand." 

VINYLHYPE RETTET DAS ALBUM 

Es überrascht kaum, dass Götz Alsmann ein bekennender Fan der Schallplatte ist. Anfang der 2000er ist es ihm sogar gelungen, dem WDR mit „Einfach Alsmann“ ein Format abzutrotzen, in dem am Ende der Sendung jeweils ein Song vor laufender Kamera live als Direktschnitt auf Vinyl aufgenommen wurde. Und gerade als Musiker ist ihm die Schallplatte lieb und teuer, weshalb er den anhaltenden Vinylhype durchaus begrüßt. 

"Die CD als Medium ist ohne Zweifel auf ihrer Abschiedstournee. Hingegen feiert die Vinyl-LP ein erstaunliches Revival. Sie wird das Streaming niemals einholen, aber sie wird sicherlich eine schöne und relativ weitverbreitete Liebhaberei bleiben. Das trägt dazu bei, das Album als Kunstform am Leben zu erhalten. Beim Streaming ist das Album ja kaum mehr wahrnehmbar, während eine LP oder gar eine Doppel-LP dem geneigten Konsumenten ein künstlerisches Gesamtbild vermitteln kann, so wie sich der Musiker das überlegt hat. Deswegen nehme ich diesen "Hype" absolut ernst und freue mich darüber. Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass viele, die da jetzt den großen Wind machen, in fünf Jahren ein anderes Hobby haben werden. Vielleicht bauen sie dann Modelleisenbahnen oder pflegen ihr Retrofahrrad oder so etwas. Aber solange es noch Menschen gibt, die diese hübsche Liebhaberei pflegen, solange haben wir als Musiker noch eine physische Darreichungsform für unsere Musik. Und das freut mich." 

NEW YORK, PARIS, ROM, MÜNSTER 

Kürzlich hat Götz Alsmann ein ambitioniertes musikalisches Großprojekt abgeschlossen. Für eine Trilogie von Alben reiste er mit seiner Band zunächst nach Paris (2011), dann nach New York (2014) und schließlich nach Rom (2017), um dort in legendären Studios Chansons, Evergreens und Schlagerhits des jeweiligen Landes aufzunehmen. Auf alle drei Alben folgten und folgen ausgiebige Konzertreisen mit unzähligen Terminen in großen und kleinen Städten der Republik. Dieses Leben, immer unterwegs und ständig auf Achse, ist Götz Alsmann längst zweite Natur geworden, das ficht ihn nicht an. Denn zwischendrin geht es ja immer mal wieder für ein paar Tage zurück nach Hause. Zurück nach Münster. 

INFO: GÖTZ ALSMANN 

Götz Alsmann wurde 1957 in Münster geboren und studierte dort Musikwissenschaft. Bereits seit den frühen 70er-Jahren ist er als professioneller Musiker aktiv und hat im Laufe seiner Karriere Dutzende Platten aufgenommen. Seit 1988 tritt er in fast unveränderter Besetzung mit der Götz Alsmann Band auf. Nach ersten Erfahrungen als Radiomoderator kam er Mitte der 80er-Jahre zum Fernsehen. Seinen größten Erfolg feierte er mit der fröhlich-anarchischen Liveshow "Zimmer frei", die er zwischen 1996 und 2016 gemeinsam mit Christine Westermann moderierte. Aktuell ist Alsmann mit dem Programm "Götz Alsmann ... in Rom" auf Tournee. 

Termine und weitere Informationen: 

www.goetz-alsmann.de