Seit dem spektakulären Start von Jay-Z's angeblich neuem Streaming-Dienst Tidal schlagen die Wellen der Begeisterung ebenso hoch wie die der Entrüstung. Zeit für einen Versuch, etwas Überblick zu schaffen ...
von Olaf Adam
Glaubt man Pop-Rapper und Internet-Unternehmer Jay-Z, so stellt Tidal nichts Geringeres als die Zukunft der Musikindustrie dar. Untermauert wird der selbstbewusste Anspruch durch die Personalausstattung beim Launch-Event. Immerhin standen mit Jay-Z selbst, seiner Ehefrau Beyoncé, Madonna, Kanye West, Daft Punk, Rihanna, Chris Martin, Jack White und einigen anderen echte musikalische und finanzielle Schwergewichte auf der Bühne. Und alle waren stolz und happy, dabei zu sein. Unter anderem wohl auch, da die Stars jeweils 3% der Anteile an Tidal erworben hatten.
So neu, wie die vereinte Star-Riege uns glauben machen möchte, ist das Ganze nun wirklich nicht. Hinter dem neuen Namen und dem edlen neuen Design verbirgt sich nichts weiter als der hierzulande bereits bekannte Streaming-Anbieter WiMP. Diesen, bzw. dessen norwegische Mutterfirma Aspiro, hatte Jay-Z kürzlich für schlappe 50 Millionen Dollar gekauft. Und wie bereits WiMP setzt Tidal ausschließlich auf kostenpflichtige Abos, eine werbefinanzierte Option wie bei Spotify gibt es nicht. Bezahlen sollen die Abonnenten jedoch nicht nur für ungestörten Musikgenuss, sondern vor allem für bessere Klangqualität. Bereits das 'Tidal Premium' genannte Einstiegsangebot für monatlich 9,99 Euro bietet mit Musik in Bitraten um die 320kbps für Streaming ganz ordentliche Qualität. 'Tidal Hifi' kostet 19,99 und erlaubt dann Lossless-Streaming in CD-Qualität. Der Zugriff auf redaktionell aufbereitete Inhalte und Videos ist in beiden Varianten enthalten.
Äh, jein... Richtig ist, dass Platzhirsch Spotify eine kostenlose Möglichkeit anbietet, den Streaming-Service zu nutzen. Allerdings wird dann die Musik regelmäßig von nervig lauten Werbespots unterbrochen, die Musik wird mit maximal 96kbps gestreamt, und auf Mobilgeräten ist die Nutzung nur im Zufallsmodus möglich. 'Spotify Premium', mit dem Streaming in 320kbps möglich ist, und das gezieltes Abspielen von Songs auch auf Mobilgeräten erlaubt, kostet dann ebenfalls 9,99 Euro. Tidal ist also nicht wirklich teurer als die Konkurrenz, es bietet nur eben keine kostenlose Möglichkeit der Nutzung. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim qualitativ hochwertigen Hifi-Streaming: Die vergleichbare Option kostete bereits bei WiMP knapp 20 Euro, beim einzigen aktuellen Mitbewerber Qobuz wird für Lossless-Streaming die gleiche Summe fällig.
An dieser Frage scheiden sich derzeit die Geister, wie man zum Beispiel beim Tonspion nachlesen kann. Richtig ist zunächst, dass das Angebot von Tidal aus Kundensicht attraktiv ist. Die Songauswahl ist groß, die Preise bewegen sich im üblichen Rahmen, sowohl das Browserinterface als auch die diversen Apps für Mobilgeräte arbeiten gut bis sehr gut. Und für Nutzer mit höheren Klangansprüchen ist die Lossless-Hifi-Option durchaus interessant, denn damit wird Streaming endgültig Hifi-tauglich. Allerdings sollten Klassikfans auch einmal das Angebot von Mitbewerber Qobuz prüfen. Hier findet man mehr klassische Aufnahmen, und es gibt eine spezielle Flatrate, die für 14,99 Euro den Zugriff ausschließlich auf das Klassikangebot bietet. Hashtag #fucktidal bei Twitter: Nicht alle sind wirklich glücklich über den neuen Streamingservice Ob Tidal allerdings die Musik befreit oder letztlich nur das Ziel verfolgt, deren kommerzielle Verwertung in den Händen weniger zu konzentrieren, bleibt abzuwarten. Tatsache ist, dass Tidal derzeit extrem offensiv auf exklusive Inhalte seiner berühmten Anteilseigner setzt, die dann auch auf anderen Plattformen wie etwa Youtube konsequent gesperrt werden. Dass ein Künstler Wert darauf legt, für die Nutzung seiner Werke auch entsprechend vergütet zu werden, ist zunächst ja nicht verwerflich. Die Befürchtung ist allerdings berechtigt, dass das neue Modell wieder einmal besonders die bereits berühmten und sowieso erfolgreichen Musiker bevorzugt, und für Indie-Bands und aufstrebende junge Künstler kaum Platz und schon gar kein Geld übrig bleibt. Ähnliche Vorwürfe muss sich allerdings auch Spotify bereits seit Jahren gefallen lassen, insofern ist der Sturm der Entrüstung, der Tidal aus mancher Ecke entgegen schlägt, nicht ganz nachvollziehbar.
Vielleicht sollte man der Sache einfach etwas Zeit geben. Wenn Jay-Z und seine superreichen Mitinhaber das ganze Thema richtig angehen, könnte daraus tatsächlich ein digitales Erlösmodell entstehen, bei dem die Künstler (und zwar alle Künstler) durch Ausschaltung der 'Zwischenhändlerfunktion' der großen Labels einen größeren Anteil der Einnahmen ausgezahlt bekommen. Wenn Sie es jedoch falsch angehen, wird daraus einfach eine Art 'United Artists' der Musikindustrie. Das Filmunternehmen wurde 1919 u.a. von Charlie Chaplin als Reaktion auf die zunehmende Ausbeutung von Schauspielern und Regisseuren durch die großen Studios gegründet. Nur wenige Jahre später war aus UA aber selbst ein 'großes Studio' wie alle anderen geworden. Und aktuell ist das Unternehmen unter der Führung von Tom Cruise als Teil von Sony Pictures im Besitz des wohl größten Entertainment-Giganten der Welt ...