von Olaf Adam
Mit Napster und Deezer fing es an, durch Spotify wurde es zunehmend bekannt, und die spektakulären Starts von Tidal und Apple Music haben das Thema endgültig ins Licht des Mainstreams gezerrt: Musik-Streaming ist ein Riesending, und für viele nicht weniger als die Zukunft der Musikdistribution. Doch gleichzeitig ist auch das Geschrei groß. Viele Musiker beschweren sich über die geringen Einnahmen aus dem Streaming und zitieren Beträge im Hundertstel-Cent-Bereich pro Stream. Und angestachelt von der schnelllebigen Teil-Kultur der sozialen Medien wird dieser Vorwurf tausendfach wiedergekäut und gilt für viele mittlerweile als Tatsache. Von Ausbeutung der Künstler ist die Rede, gar von moderner digitaler Sklaverei. Die Schuldigen daran sind logisch die geizigen Streamingdienste und deren Kunden, die diese Schweinerei millionenfach unterstützen. Hinterfragen? Unnötig. Sich selber mal schlau machen? Viel zu anstrengend! Dabei wäre es eigentlich relativ einfach, diese Gedankenkonstrukt in wenigen Schritten zu zerlegen. Und genau das hat das Berklee Institute of Creative Entrepreneurship kürzlich in der Studie RETHINK MUSIC getan. Fangen wir doch mal vorne an:
Den Künstlern? Ja, wenn diese Madonna, Jay-Z oder Beyoncé heißen und weitreichende Rechte an ihren eigenen Songs besitzen. Für 99% der Musiker weltweit dürfte das aber nicht gelten. Denn sie haben die Verwertungsrechte an ihre Labels, also die Musikfirmen abgetreten. Dafür haben sie Verträge unterschrieben, in denen genau geregelt ist, welchen Anteil an den Einnahmen sie selbst erhalten. Damit haben die Streamingdienste also nichts zu tun, sie zahlen ihre Ausschüttungen einfach an die Labels.
Äh..., nein. Sicher wollen die Unternehmen am Streaming verdienen, und das ist auch ihr gutes Recht. Dafür behalten sie einen gewissen Anteil an den Einnahmen durch Werbung und Abos ein, der Rest wird abhängig von der Zahl der Wiedergaben ausgeschüttet. Dieser Anteil ist mit ca. 30% in keiner Weise unverschämt, denn das ist ziemlich genau das, was zum Beispiel auch bei einem iTunes-Verkauf für sich behält. Und die Streaminganbieter selbst würden wohl selbst bestätigen, dass dieser Anteil eher gering ist, denn bisher hat scheinbar noch keiner von Ihnen jemals schwarze Zahlen geschrieben, da derzeit alle Umsätze in Marketing und Ausbau der technischen Infrastruktur investiert werden. Rund 70% der Streaming-Einnahmen fließen also an die Rechteinhaber der Werke. Und das sind in den meisten Fällen eben die Labels.
Das ist sicherlich ein Stück weit ein Frage der Selbstregulierung von Märkten, außerdem Ansichtssache. Richtig ist, dass es schon immer einige Leute gab, die gerne viel Geld für Musik ausgegeben haben. Es hat aber immer schon sehr viel mehr Menschen gegeben, die dazu eben nicht bereit waren. Und diese Entwicklung hat Ende der Neunziger, Anfang der 2000er ihren traurigen Höhepunkt erreicht, als millionenfach illegal getauschte MP3s tatsächlich den Musikmarkt extrem beschädigt und die Industrie in eine tiefe Krise gestürzt haben. Dabei darf man aber auch nicht vergessen, dass die Musikumsätze weltweit seit einigen Jahren wieder steigen. Und das ist zu einem ganz großen Anteil auf das wachsende Streaming-Geschäft zurück zu führen. Man muss bei der Betrachtung dieser Situation auch einfach mal realistisch sein. Für einen engagierten Hifi-Fan ist es sicherlich nichts Besonderes, jeden Monat 30, 40 oder mehr Euro für Musik auszugeben. Und es hält ihn ja auch niemand davon ab, das weiterhin zu tun. In der breiten Bevölkerung hat es diese Bereitschaft jedoch schon lange nicht mehr gegeben. Und erst durch Streamingdienste wurde dieser Trend umgekehrt. Im Durchschnitt zahlt ein Abonnent von Tidal, Spotify und Co um die 120,- Euro pro Jahr. Jedes Jahr. Das ist eine Menge Geld, und sicherlich mehr als viele Kunden noch vor wenigen Jahren für Musik ausgegeben haben. Die steigenden Einnahmen der Musikindustrie belegen diese positive Entwicklung.
Das stimmt leider. Doch Schuld daran sind eben nicht die bösen, bösen Streamingdienste, sondern die Labels. Und ein Stück weit, auch das muss gesagt sein, die Künstler selbst; sie haben ihre Verträge schließlich selbst unterschrieben. Allerdings grenzt das Verhalten vieler (aller?) Labels schon an Unverschämtheit. Denn die Künstler erhalten lediglich ihren vertraglich vereinbarten Anteil an den unmittelbaren Streaming-Einnahmen. Die Labels verdienen jedoch auf weiteren Ebenen am Thema Streaming. So gibt es zum Beispiel oft eine Art Grundgebühr, welche die Streaminganbieter and die Labels zahlen, damit diese überhaupt ihren Katalog zur Verfügung stellen. Es ist unklar, ob und in welcher Weise die einzelnen Künstler an diesen Einnahmen beteiligt werden. Manche Labels haben sich zudem Unternehmensanteile an den diversen Streamingdiensten gesichert und sich im Gegenzug auf vergünstigte Ausschüttungen pro gespieltem Titel eingelassen. Das heißt unterm Strich nichts anderes, als dass in diesen Fällen die Labels doppelt verdienen, davon jedoch nur einen deutlich kleineren Teil mit dem Künstler teilen müssen.
Tja, liebe Taylor Swift, liebe Nachplapperer und Mitdemfingerzeiger. Nicht alles im Leben ist so einfach, dass es in einen 140-Zeichen-Tweet passt. Und einfache Antworten auf komplexe Themen sind oft gefährlich. Wenn man das mit diesem Thema aber unbedingt versuchen will, kann das nur so lauten: Nicht die Streamingdienste beuten die Künstler aus, sondern die Labels. (Unser Dank gilt John Darko von digitalaudioreview.net, der uns auf die oben erwähnte Studie aufmerksam gemacht hat.)